05.03.2024

FAST ALLES IM GRIFF – UND IMMER AUF DER ÜBERHOLSPUR

Anahie Lohner-Hutzli ist eines der grössten Golftalente der Schweiz. Anfang Jahr wurde sie erst 15 Jahre alt, aber sie hat in ihrem Leben schon sehr viel erlebt. Das hängt auch damit zusammen, dass sie unter anderem in Argentinien und Indien aufgewachsen ist.

Es war sehr früh klar, dass Golf meine grosse Liebe ist

– Anahie Lohner-Hutzli

Der Dialekt. Er fällt gleich beim ersten Satz auf, denn er ist ein faszinierendes Mischmasch aus allen möglichen Richtungen. Und je länger man Anahie Lohner-Hutzli zuhört, umso einzigartiger ist der Dialekt. Es muss Anahie-Schweizerdeutsch sein. Ein Gespräch mit ihr ist ohnehin inspirierend, weil sie ausgesprochen fröhlich ist und unbekümmert – und weil sie viel lacht. Einmal sagt sie: «Wenn man die Aufgaben positiv angeht, ist es einfacher. Und es ist realistischer, dass sie gut kommen.»

So kann man das sehen. So kann man das sagen. Und so kann man das vor allem machen. Erst recht als Teenagerin. Anahie Lohner-Hutzli ist ein Name, den man sich im Golfsport in der Schweiz auf jeden Fall merken sollte. Sie gilt als eines des grössten Talents des Landes. Und auch abgesehen von den sportlichen Aspekten bietet ihre Geschichte viele spektakuläre Episoden. Der Papa ist Basler, die Mutter ist Zürcherin, Anahie ist ein in Paraguay populärer Name. Geboren wurde sie in Chile, aufgewachsen ist sie in Argentinien und Indien, wobei sie auch immer wieder in der Schweiz lebte. Der Vater arbeitet bei Nestlé und wechselt die Stelle alle drei Jahre, stets verbunden mit einem Länderwechsel. Und so entstand auch der «kauderwelschige» Dialekt Anahies, der einen auch nach zwanzig Minuten Unterhaltung zum Schmunzeln bringt.

Viel Lob auch von Nora Angehrn

Was Anahie Lohner-Hutzli zu sagen hat, ist nicht weniger beeindruckend. Anfang Jahr wurde sie 15, aber sie spricht, als sei sie mindestens 25. «Sie war schon immer sehr weit für ihr Alter», sagt Mutter Franziska. «Das hängt sicher auch damit zusammen, dass sie drei Schwestern hat, die sechs bis zehn Jahre älter sind.»

Seit letztem Sommer lebt Anahie mit den Eltern wieder in der Westschweiz, in St-Légier nahe des Nestlé-Sitzes in Vevey. Die Schwestern studieren Medizin und Recht oder sind an einer Hotelfachschule und deshalb nicht mehr ständig zuhause. Anahie wiederum geht davon aus, dass sie zumindest in den nächsten dreieinhalb Jahren in der Schweiz wohnen wird, weil sie im Sommer 2027 die internationale Schule Haut-Lac abschliesst. Danach könnte sie studieren und noch stärker auf den Golfsport setzen. Colleges aus den USA haben sich bereits gemeldet, weil sich Anahie Lohner-Hutzli mit starken Leistungen und grossen Erfolgen auch ausserhalb der Schweiz einen Namen zu machen beginnt.

Alle Menschen, mit denen man spricht, schwärmen vom Auftreten und vom Charakter, von der Mentalität und dem Golfspiel Anahies. Zuweilen sind einem die Lobeshymnen fast unheimlich. National Coach Nora Angehrn spricht von einem «sensationellen Meitli», das passioniert sei und fleissig und anständig und aufgestellt: «So eine Person und Schülerin wünscht sich jeder Coach.» Anahie wolle weiterkommen, jeden Tag und in jedem Training. «Und sie ist sehr kompetitiv, will jedes noch so kleine Spielchen unbedingt gewinnen, selbst in Videogames oder wenn wir beispielsweise Klettern gehen. Dabei verliert sie die Lockerheit aber nie.» Anahie sei zwar noch jung, sagt Nora Angehrn, aber trotzdem bereits ein Vorbild. «Weil sie sich nie hängen lässt und eine perfekte Einstellung hat.»

Anahie Lohner-Hutzli stammt nicht aus einer Golffamilie. «Mein Mann und ich spielen zwar mittlerweile auch», sagt Mutter Franziska, «aber bei uns war Golf eigentlich nie ein Thema.» In Argentinien lebte die Familie in einem Resort mit Golfplatz, das Haus lag zwischen Loch 3 und Loch 4. «Ich war vielleicht vier Jahre alt», erzählt Anahie, «und es interessierte mich sehr, was diese Leute taten, die da mit ihren Carts immer durch unseren Garten fuhren.» Also habe sie einfach einmal ein paar Bälle geschlagen und sei sofort begeistert gewesen. «Ich betrieb zwar auch jahrelang andere Sportarten wie Fussball und Tennis mit viel Leidenschaft, aber es war sehr früh klar, dass Golf meine grosse Liebe ist.»

Selbstbewusst, aber nicht arrogant

Richtig Fahrt nahm Anahies Karriere in Indien zwischen 2020 und 2023 auf. Längst ist ihr Handicap deutlich im Plusbereich, sie hat viele Runden unter 70 gespielt, der Rekord liegt bei 66, auch ein Hole-in-one ist ihr vor drei Jahren gelungen. Und als Spielerin entwickelte sie sich derart rasant weiter, dass selbst ihre Trainerinnen und Trainer immer wieder staunten. Zumal Anahie auch unter Druck nicht schwächer spielt. Im Gegenteil: Es sind die entscheidenden Situationen in einem Turnier, die sie liebt und in denen sie zur Hochform aufläuft. «Ich mag es einfach, wenn es um etwas geht», sagt sie, «und vertraue immer auf meine Stärke.»

Das gesunde Selbstvertrauen ist ausgeprägt, aber es kippt nicht in die Überheblichkeit. Im Elternhaus sind Anahie Werte mitgegeben worden wie Menschlichkeit, Anstand, Demut. Und eine bemerkenswerte Vielsprachigkeit. Anahie kann sich auf Französisch, Englisch und Spanisch ausgezeichnet unterhalten, mit den Eltern spricht sie Schweizerdeutsch (oder Anahie-Schweizerdeutsch), mit den Schwestern einen Mix aus allen Sprachen, die sie beherrschen. «Bei uns ist es stets ziemlich dynamisch», sagt Mutter Franziska. Aber während andere Familienmitglieder teilweise vielleicht ein wenig chaotisch sein könnten, sei Anahie immer sehr strukturiert. «Sie hat alles im Griff und wirkt trotzdem nicht verbissen.»

Der Ausdruck Wunderkind ist ein wenig abgegriffen, und es ist selbstverständlich noch zu früh, um Anahie Lohner-Hutzli eine grosse Karriere auch später auf der Profitour zu prophezeien. Aber die Liste an Siegen ist lang. Ein Auszug daraus genügt, um zu wissen, dass Anahie ein herausragendes Talent ist. Sie wurde vor zwei Jahren Schweizermeisterin bei den U12- und U14-Juniorinnen. Letzte Saison gewann sie wieder das Double (U14/U16). Sie brillierte an internationalen Veranstaltungen, ist jetzt im Schweizer Nationalteam der Girls (U18) und wird 2024 noch häufiger im Ausland antreten. «Es ist eine grosse Ehre, die Schweiz zu vertreten», sagt Anahie. «Ich habe zwar auf der ganzen Welt Freunde, weil wir so lange im Ausland lebten, aber ich fühle mich ganz klar als Schweizerin.»

Sie wird kräftiger, will aber kreativ bleiben

Schritt für Schritt intensiviert Anahie Lohner-Hutzli in ihrem Trainingspensum von mindestens 25 Stunden pro Woche nun auch das Workout im Gym sowie die Arbeit im mentalen Bereich. «Aber ich bin im Kopf ziemlich stark, deshalb muss ich da gar nicht zu viel machen. Wir wollen ja keine Probleme kreieren, die es gar nicht gibt.» Hört sich sehr erwachsen an. Und weil sie immer noch in der Wachstumsphase ist und nicht bei 1,62 m Körpergrösse stehen bleiben wird, sind weitere Fortschritte bezüglich Kraft und Schlägerkopfgeschwindigkeit zu erwarten. «Das wird wertvoll sein», sagt Anahie. «Aber noch wichtiger ist es, dass ich meine Kreativität behalte. Denn auf dem Golfplatz kann man jeden Schlag auf verschiedene Arten machen. Es ist ein grossartiger Sport, weil unterschiedliche Wege zum Ziel führen.»

Auch in Bezug auf Vorbilder denkt Anahie vielseitig und differenziert. In jedem Bereich eifert sie jemand anderem nach. Sie findet etwa den Schwung von Adam Scott überragend und den Biss von Tiger Woods sensationell, nennt Nelly Korda als Lieblingsspielerin. Und sie sagt, dass sie davon träume, in ein paar Jahren auf der LPGA gegen die besten Golferinnen der Welt anzutreten. Es klingt nicht arrogant. Und spätestens dann hätte die ganze Schweizer Sportwelt Bekanntschaft mit dem lustigen Dialekt von Anahie Lohner-Hutzli gemacht.

So eine Person und Schülerin wünscht sich jeder Coach

– Nora Angehrn